Die deutsche Sprache kennt etliche Wörter, die, verschieden betont, Verschiedenes bedeuten. Modern ist etwa nicht dasselbe wie modern.Der geistreiche Kritiker, Herausgeber, Autor Otto Basil hat den Gegensatz des Vermodernden mit dem jeweils Modernen einmal in einer spracherotischen These so aufgehoben: das Moderneerblühe am schönsten aus dem Modernden, der Moder der Tradition sei der beste Humus der künstlerischen Moderne.
Wie verhält es sich da mit der Umvolkung? Gebräuchlich geworden ist das Wort mit Betonung auf dem vorangestellten „um“. Verwendet wird die Vorsilbe also wie in den Wörtern Umschulung, Umgestaltung, Umarbeitung, wo sie anzeigt, dass eine Bewegung umgedreht, also etwas in eine andere Richtung getrieben, geführt werde. Wer in diesem Sinne umdenkt, denkt heute anders als gestern. Meines Wissens nach war 1992 Andreas Mölzer der erste, der das Wort in den jetzt seit über dreißig Jahren nie mehr unterbrochenen Wahlkampf der Zweiten Republik eingebracht hat. Seither taucht die Umvolkung stets auf, wenn die Zuwanderung als existentielle Gefahr der Nation dargestellt werden soll, insofern diese nämlich aus dem Volk, das in Österreich ansässig ist, ein anderes forme bzw. es in eine andere demografische und kulturelle Richtung treibe. So verstandene Umvolkung macht aus den Österreichern langsam Türken oder Araber, wobei im Gebrauch des Wortes ursprünglich nicht die Bedrohung des österreichischen, sondern des deutschen Volkes gemeint war. Denn damals galt die österreichische Nation der Freiheitlichen Partei ja noch als „Missgeburt“, wie Jörg Haider sie nannte, ehe er seiner Partei die unerwartete, doch erfolgversprechende Wende vom Deutschnationalismus zum Österreichchauvinismus verpasste.
In der Internationale der Nationalisten ist seit einigen Jahren allerdings statt von Umvolkung häufiger vom „Großen Bevölkerungsaustausch“ die Rede, einem Wort, das der französische Schriftsteller Renaud Camus mit seinem Bestseller „Le Grand Remplacement“ populär machte. In Österreich hat es sich die Identitäre Bewegung rasch angeeignet und in ihr Arsenal ideologischer Kampfbegriffe aufgenommen. Beides, die Umvolkung wie der Große Bevölkerungsaustausch, spielen eine wichtige Rolle in der Verschwörungstheorie, dass eine weltweite Elite planmäßig nichtweiße Menschen vornehmlich muslimischer Religion in die Länder des Westens ruft oder einschleust, um die weiße Rasse zumal in Europa in eine minoritäre Position zu bringen. Die Eliten, die sich aus Juden, transnationalen Kapitalisten, Freimaurern und beliebigen anderen Gruppen zusammensetzen, die periodisch als Hassobjekte taugen, sollen damit beabsichtigen, ihre globale Herrschaft auszubauen und abzusichern.
Natürlich kann man Umvolkung aber auch auf der zweiten und dritten Silbe betonen, wie das etwa bei einem Wort üblich ist, das einem bei diesem Thema ohnedies einfallen mag: bei der Umnachtung. Dann würde der Akzent auf „Volkung“ gesetzt, was nichts anderes bedeuten kann, als dass sich jemand mit Volk umgibt oder etwas mit Volk umgeben wird. In diesem Sinne muss man die FPÖ und andere rechte Parteien Europas schon für besorgniserregend umvolkt bezeichnen. Wohin man sich wendet, nach Italien, Frankreich, in die Niederlande oder nach Ungarn und in die Slowakei – überall werden die autoritären Führer immer dichter umvolkt, von West nach Ost und mittendrin in Österreich wächst rundum ihre Umvolkung.
Der Begriff hat seine nazistische Tradition, allerdings dachten die Propagandisten des Nationalsozialismus bei Umvolkung in die entgegengesetzte Richtung als ihre Wiedergänger von heute. Überall in Mitteleuropa und bis weit in den Osten und Südosten des Kontinents ragten aus dem slawischen Völkermeer deutsche Sprachinseln heraus. Deren Bewohner waren aus den deutschen Fürstentümern vor Jahrhunderten ostwärts gezogen und hatten sich in slawischer Umgebung ihren deutschen Charakter zwar nicht völlig rein erhalten können, sondern manches von der Kultur und Sprache ihrer Nachbarn angenommen. Gleichwohl verfügten diese Gruppen, die gegenüber den Reichsdeutschen als Volksdeutsche bezeichnet wurden, noch über genügend deutsche Substanz, dass man sie nicht einfach ihrem Schicksal in fremdvölkischer Umgebung überlassen durfte. Umvolkung meinte in ihrem Falle daher nichts anderes, als dass sie einem Prozess der Re-Germanisierung unterzogen werden müssten, aus dem sie als gestählte deutsche Vorposten in einem expandierenden Reich herauskommen sollten.
Das zweite Ziel der nazistischen Umvolkung war, in den durch die Wehrmacht eroberten Gebieten Osteuropas gezielt deutsche Gruppen anzusiedeln (dabei dachten sie u.a. an die Südtiroler), auf dass diesen Ländern dauerhaft ein deutscher Charakter aufgeprägt werde. Die Nationalsozialisten verstanden Umvolkung also zum einen als Re-Germanisierung der so genannten Volksdeutschen und zum anderen als völkische Inbesitznahme Ost- und Südosteuropas mittels Unterjochung, Vertreibung, Vernichtung der dort angestammten Bevölkerungen. Beides hielten sie für unumgängliche Maßnahmen zur Germanisierung Europas, was heißt, dass Umvolkung für sie etwas Erstrebenswertes, aus völkischen Gründen geradezuz Notwendiges war. Die Heutigen hingegen erleben in Österreich und Deutschland, dass die gute alte Umvolkung, mit militärischer Expansion und kultureller Gleichschaltung betrieben, für sie keine Zukunft mehr bietet; so drehen sie den Begriff um, damit er taugt, aus ihrer Drohung von gestern eine aktuelle Bedrohung für sie zu machen. Ein rüder Akt von Umdeutung!