Der Begriff „Sonderbehandlung“ ist eine zweischneidige Sache. Wenn ich in einer geschäftlichen Besprechung sitze, ein Kollege aus der Technik über die Netzwerkimplementierung referiert und dann meint, jener Proxyserver, der ins Internet verbindet, benötige innerhalb des Gesamtkonzeptes eine „Sonderbehandlung“, dann ist das neutral gemeint, im Sinne einer „besonderen Handhabung“. Obwohl es mir, der ich mich für sehr geschichtsbewusst halte, bei diesem Wort trotzdem das Herz zusammenkrampft.
Denn die „Sonderbehandlung“ hat eine nicht nur unrühmliche, sondern furchtbare Geschichte. Wer sie im Wörterbuch nachschlägt, erfährt bereits in der ersten (und manchmal einzigen) Definition, dass es sich dabei um einen Begriff aus der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft handelt. Es ist ein euphemistischer Ausdruck; ein Wort, das, insbesondere gegenüber der Bevölkerung, verhüllen sollte, worum es eigentlich ging.
In einem Runderlass des Chefs der Sicherheitspolizei Reinhard Heydrich an alle Polizeidienststellen tauchte der Begriff 1939 als verschleierndes Codewort für Exekutionen auf. Die „Sonderbehandlung“ wurde für Behinderte vorgesehen, für Juden, Homosexuelle, Roma und Sinti, Regimegegner und Kriegsgefangene. Und immer hieß das: Mord. In einem Erlass von Heinrich Himmler stand sogar wörtlich: „Die Sonderbehandlung erfolgt durch Strang.“ Das ist nur eines von vielen Beispielen, und ich kann nur den Kopf schüttelt, wenn ich erfahre, dass irgendjemand die Bedeutung dieses Wortes anzweifelt oder negiert.
Auch wenn in ganz anderen Zusammenhängen der Begriff sachlich neutral gemeint sein könnte, also im Rückgriff auf die eigentliche Bedeutung der beiden Teile des Kompositums, sieht es ganz anders aus, wenn eine „Sonderbehandlung“ Menschen zugedacht wird. Denn in diesem Zusammenhang gibt es kein Wenn und Aber: Wer eine „Sonderbehandlung“ für bestimmte Menschen oder Personengruppen fordert oder auch nur in Diskussion bringt, der spielt nicht bloß mit dem Feuer, sondern legt bereits eine Lunte zu einem Pulverfass. Denn es geht dabei um Beseitigung. Um Ausmerzung. In letzter Konsequenz um Tötung und Mord.
Dass FPÖ-Landesrat Waldhäusl 2018 eine „Sonderbehandlung für integrationsunwillige Asylwerber“ vorgeschlagen hat, schlug zwar durchaus Wellen der Empörung, aber ÖVP-Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner wollte sich – durchaus vielsagend – nicht an einer „Begriffsdebatte“ beteiligen. Dass der Landesrat sich von seiner Aussage nachher distanzierte, machte die Sache nicht besser; denn wenn eine solche Meldung einmal losgelassen, kann sie nicht mehr eingefangen werden. Die bereits gemachte Aussage steht im Raum; sie kommt bei der Bevölkerung an, und insbesondere jene, die einem ultrarechten Gedankengut nahestehen, wissen wohl ganz genau, was damit gemeint war. Im Grunde funktioniert das wie in der Nazi-Zeit: Die Gutgläubigen hören einen vermeintlich harmlosen Begriff und wollen sich nichts weiter dabei denken, während ein paar „Getreue“ genau wissen, was zu tun sei, und am Ende womöglich selbst zur Gewalt greifen.
Der Begriff „Sonderbehandlung“, ab und an in der politischen Debatte vorkommend, erfährt, wie viele andere und je öfter er gebraucht wird, eine Art Verwässerung. Wer unwillig ist, sich mit unserer Geschichte auseinanderzusetzen, kennt unter Umständen tatsächlich seine Bedeutung nicht. Doch das ist nicht nur naiv, sondern ein bewusstes Wegschauen. Im Übrigen haben Politiker*innen aus meiner Sicht eine unumgehbare Pflicht, unsere Geschichte zu kennen. Andernfalls haben sie in politischen Positionen oder gar Schaltstellen der Republik nichts verloren.
Sogar Netzwerkkomponenten können gut mit einer „speziellen Konfiguration“ leben oder sie erfordern bestimmte „abweichende Verfahren“. Wir haben, für unterschiedliche Zusammenhänge, ein „außertourliches Procedere“, eine „besondere Handhabung“, eine „außerplanmäßige oder Sonderausführung“ – diese Liste könnte endlos fortgesetzt werden. Es ist also keineswegs nötig, ein Wort zu strapazieren, das derart negativ belastet ist und äußerst schmerzhafte Erinnerungen weckt
Denn eines ist klar: Die „Sonderbehandlung“ steht, euphemistisch, für Ausmerzung, Vernichtung, Mord. Punktum.