Eine RTL-Rechereche-Doku schlug Wellen. Undercover-Journalistinnen beleuchteten die Verbindungen zwischen rechtsextremen Identitären und der rechtsextremen AfD. Wenig überrraschend molken sie aus Aktivisten einschlägige O-Töne. Eine Frau meinte, es habe „höchstens 175.000 vergaste Juden – höchstens!“ gegeben, und sie fände „halt auch geil, dass das stattgefunden hat. Das muss ich ehrlich sagen.“ Eine dramatische Doku-Stimme fragt aus dem Off: „Wie nah sind sich die AfD und die radikalen Rechten wirklich?“ Welch toller Witz – na eben sehr nah!, möchte man aus Österreich rufen. Der derzeitige FPÖ-Chef Kickl sieht die Identitären bekanntlich als „NGO von rechts“ und „unterstützenswertes Projekt“. Ähnliches dachte der „Christchurch-Attentäter“, 51-facher Mörder, als er den hiesigen Identitären 1.500 Euro spendete.
Rechtsextreme außerhalb und innerhalb der Parlamente vernetzen sich, verfolgen gemeinsame Ziele. Wieso sorgt die Nähe zweier Äste des gleichen Stamms für Empörung? Bleibt diese nicht scheinheilig, solange die kaum camouflierten Parlaments-Rechtsextremen als „Populisten“ verharmlost werden? Österreichs öffentlich-rechtlicher Rundfunk nennt die AfD manchmal rechtsextrem, die Schwesterpartei FPÖ hingegen „rechtspopulitisch“, obwohl tausende Aussagen ihrer Protagonisten und sämtliche politische Zielsetzungen einen aktiven, fröhlich auf der Zunge getragenen Extremismus herausposaunen – absolut unnormalisierbar.
Historische Kontinuitäten treten oft in der Sprache zutage. Als Nachfolgerin des VdU (Verband der Unabhängigen, 1949-1956), dem Sammelbecken der Ex-Nationalsozialisten, repräsentiert die FPÖ das „dritte Lager“. Will EU-Mandatar Vilimsky nun einem weiblichen „Hexentrio“ gegnerischer Fraktionen „die Peitsche spüren lassen“ oder Kickl seinen Kontrahenten „einen Schlag aufs Hosentürl“ versetzen, so handelt es sich, abseits der auffällig gewalttätig-konsensfreien Sexualphantasien, um tradierten Wutredenstil. „Wir sind den anderen geistig überlegen“, behauptete witzigerweise Jörg Haider, durch dessen Verdienst einige von den 68ern entehrte Begriffe wie „ordentlich“ oder „anständig“ reaktiviert wurden. Ihren vom machoiden Ehrbegriff durchsetzten Sprachduktus teilen Rechtsextreme übrigens, wie auch den Judenhass, mit ihrem artverwandten Gegenpol, den Islamisten. Sie können daher nie Partner sein im Kampf gegen Islamismus und Antisemitismus.
Wenig Grund zu Empörung, wenn sich neurechte AfD-Identitäre in der Doku ein „Srebrenica 2.0“ heranwünschen! Die sondern derartige Slogans fast vergetativ ab. Durchsucht man ihre Häuser, finden sich wohl Waffen, NS-Liederbücher oder Devotionalien, die unter das Verbotsgesetz fallen, gegen dessen Verschärfung sie auftreten. Alles andere wäre eine empörende Sensation! Von Stil, Inhalt, Korruptionsanfälligkeit, Rechtschreibung, Ehre sowie Treue her entsprechen Politiker wie Aktivisten mit geringer Variationsbreite dem sattsam erforschten Phänotypus des Rechtsextremen.
Dieser tritt weltweit auf. Gleich nebenan stellt er mit Viktor Orbán ein erfolgreiches Role-Model, so diktaturaffin, dass er sogar Donald Trump imponiert. Auch die Slowakei sucht Wege zum Demokratieabbau: Gängelung der Opposition, Schaffung unfreier Staatsmedien, Demontage des Rechtssystems, Anti-LGBTQ-Kulturkampf, und, als „Opium fürs Volk“, Feindbilder-Diffamierung, seien es Juden, Fahrradfahrer, Muslime, Woke, Ausländer, Transmenschen, George Soros oder gar, krönende Paradoxie, „radical liberals“ (Trump).
Ehemalige Mitte-rechts-Parteien, oft „christlich“ und korruptionsnahe, strecken sich in autoritäre Richtung, streben Koalitionen mit Extremisten an – daher stimmt die Parole vom “Kampf gegen rechts“ leider. Kaum an der Regierung, versetzen rechtsextreme Parteien dem Sozialstaat Schläge, der „kleine Mann“ ist ihr Kollateralschaden. Ihr Abstimmungsverhalten in Parlamenten belegt, dass ihre Politik keine für „das Volk“/“euch“, sondern eine für Bestverdiener samt profitierender Wirtschaftselite ist. Von einer Ausgrenzung von Mitgliedern neurechter Parteien aus öffentlichen Ämtern sind wir indes weit entfernt. Hoffentlich fällt unserer Gesellschaft ihre endlose Liberalität nie auf den Kopf.
„Wenn unsere Gegner sagen: Ja, wir haben Euch doch früher die (...) Freiheit der Meinung zugebilligt – ja, Ihr uns, das ist doch kein Beweis, dass wir das Euch auch tuen sollen!“, meinte Goebbels 1935, „dass Ihr das uns gegeben habt – das ist ja ein Beweis dafür, wie dumm Ihr seid!“ FPÖ-Chef Kickl imitiert auf den Bühnen und in Bierzelten inzwischen konsequent den feierlich-anachronistischen Sound des NS-Propagandaministers – er wirkt lächerlich schrullig, aus der Zeit gefallen, klingt wie ein Satiriker, der sich selbst verarscht, aber keiner sagt es ihm.
Wir sollten das klar sagen, nur wie? Die Benennung des Rechtsextremismusgrades muss korrekt sein, auf einer Weinflasche steht auch der Alkoholgehalt. Aber bitte behutsam! Einem Nazi zu sagen, er sei ein Nazi, funktioniert nicht, selbst wenn es hundert Mal stimmt – er wird die Chuzpe haben und wegen Verharmlosung des Nationalsozialismus klagen. Umkehrung und Gegenangriff als rhetorisches Instrument hat er ja intus. Moderne Faschisten rattern Vorgekautes aus Seminaren herunter, gehen eloquent Checklisten durch, während sie beklagen, man dürfe „nichts mehr sagen“.
Klar, Unschuldsvermutung! Extremismusvorwürfe gelten Extremisten als bösartige Missverständnisse! Allerdings ist die hiesige journalistische Welt nun einmal zum Glück nicht FPÖ-TV oder Orbán-Media. Wir Demokraten beobachten euch. Das Volk wird nicht ruhen, ehe wir euch abseits jeglicher politischer Verantwortung wissen.
Erstveröffentlicht in: Die Presse, 2.9.20