„Wir leben in einer Demokratie, mein lieber Neffe.“ Ich schlage einen bedeutsamen Ton an.
„Wir leben in Österreich“, sagt Neffe Florian, soeben zehn Jahre geworden.
„Ja“, sage ich, „aber Österreich ist eben eine Demokratie.“
„Österreich ist ein Land.“ „Ja, ein Land, in dem Recht und Ordnung herrscht.“ „Bei uns herrscht nur die Oma.“ Ich bin erstaunt, seine Oma – meine Mutter – soll in der Familie herrschen? „Was tut denn die Oma?“ „Sie bestimmt immer, was es am Sonntag zu essen gibt!“ „Sie fragt nicht, was ihr wollt?“ „Nein, es gibt immer dasselbe, Schweinsbraten.“
„Wenn sie euch fragen würde, was ihr wollt, und dann das kochen würde, was die meisten von euch mögen – das wäre demokratisch“ „Wie soll das denn funktionieren?“ „Ihr müsstet euch einmal in der Woche zusammensetzen und jeder sagt seinen Wunsch für das Sonntagsessen.“ „Aber die Oma kann nur Schweinsbraten kochen!“ „Das gilt nicht – beim Essen wie auch in der Demokratie muss man für seine Wünsche etwas tun; nur einfordern, das ist zu wenig. Mama müsste kochen, wenn sie ihr Lieblingsgericht möchte und für sein Lieblingsgericht müsste Papa in die Küche gehen.“ „Er kann überhaupt nicht kochen!“
„In einer demokratischen Ordnung muss man auch bereit sein, etwas Neues zu lernen, eine neue Aufgabe für die Gemeinschaft zu übernehmen.“ „Und ich? Muss ich auch kochen lernen?“ „Du kannst deinem Alter entsprechend einen Beitrag leisten.“ „Zwiebel schneiden, mit der Skibrille, das ist lustig.“
„In einer Demokratie kann es durchaus lebhaft zugehen; jeder darf seine Meinung sagen, die Argumente fliegen hin und her.“ „Und das, was am weitesten fliegt, gewinnt.“ „Nicht unbedingt, es muss ja die Mehrheit einverstanden sein und da muss man auch Kompromisse machen.“ „Was soll das sein?“
„In einem demokratischen Land gibt es viele Themen zu bearbeiten – nicht nur das sonntägliche Mittagessen. Einmal setzt sich die eine Gruppe bei einem Thema stärker durch und die andere gibt ein wenig nach. Bei einem anderen Thema ist es wieder umgekehrt.“ „Das klingt kompliziert.“
„Das ist es auch, Demokratie zu leben erfordert einen langen Atem.“ „Das mit dem Atmen, das könnte ich üben. Nutzt mir das auch was bei der Oma?“ „Na ja, wenn du ein gutes Argument hast. Ein Beispiel – jetzt ist Eierschwammerl-Zeit, da sollte man ein Gericht mit den Schwammerln planen, weil jetzt sind sie frisch. Und du könntest sie sogar selbst im Wald suchen. Da hast du zwei gute Argumente und leistest einen Beitrag.“
„Ich habe verstanden, ich soll die Oma solange bequatschen, bis sie nachgibt.“ Neffe Florian bringt mich zum Lachen. „Ja, so kann man es auch sagen. Übrigens sagen tatsächlich Menschen ohne einen langen Atem ‚Quatschbude‘ zu unserem Parlament.“ „‚Quatschbude‘, das ist gut. Ich werde Freitag abends so eine Quatschbude bei uns einführen. Ich werde vorher Argumente für mein Lieblingsgericht sammeln und Mama und Papa und Oma mit meinem langen Atem nerven.“
„Und irgendwann werden die anderen auch anfangen, sich vorzubereiten, und aus der Quatschbude wird eine hochstehende Diskussion, mein lieber Neffe Florian, ich bin stolz auf dich.“ „Und du bist mein Lieblingsonkel.“ „Na ja, ich bin auch der Einzige.“