In der Wiese des Stadtgartens steht ein Schild mit „Betreten verboten“. Jugendliche haben sich mit einem Esskorb und einem Tuch im Gras niedergelassen. Die Aufregung ist groß, Beschimpfungen werden laut. Doch: Wäre es nicht für uns alle fein im Gras zu sitzen, zu plaudern, zu trinken, zu spielen? Warum wenden wir uns nicht gemeinsam mit einer Petition an die Stadtregierung mit dem Wunsch, einen Teil des Stadtparks zur Benützung frei zu geben? So geschehen. Die Stadt hat eingelenkt. Seither spielen Kinder im Gras, Verliebte halten Hand, Familien setzen sich auf einen Plausch. Der Ärger ist wie verflogen.
So funktioniert der Neid. Er trifft das Nahe, Ähnliche, Winzige, die kleine Abweichung: Das Auto des Nachbars, das Engagement der Kollegin, das Handy nebenan, die anderen in der Wiese. Nicht der viel Reichere wird von mir beneidet, sondern der Vergleichbare. Wer einige Euro mehr oder weniger hat, treibt mich zur Weißglut, nicht die Millionen in den Steueroasen.
Der Neid ist ein Phänomen der Nähe und der feinen Unterschiede. Der Neid spaltet deshalb bevorzugt Menschen mit ähnlichen Interessen. Das Enteignete wird gegenüber einer als anders definierten Gruppe als Eigenes angesprochen. Es waren offensichtlich nicht „wir“, die das Verbot aufgestellt haben, die Wiese zu betreten. Die Wiese wird gegenüber dem Anderen als Eigentum reklamiert, aber zugleich im Verhältnis zur eigenen Person als fremd angesprochen. Das ungelebte, für unmöglich gehaltene Leben wird von den anderen gelebt und erscheint somit als möglich. Es ereignen sich zwei Dinge: Einerseits die Ausblendung des eigenen Wunsches in der Wiese zu liegen, andererseits die Unterordnung unter die Instanz, die diesen Wunsch verunmöglicht.
Der Neid ist so wirkungsvoll als politisches Instrument, weil er Leute mit ähnlichen Interessen spaltet. Weil er sagt: „Du oder ich“, aber nie: „Wir beide.“ Neid ist eine Waffe gegen die Solidarität. Bei einer Auseinandersetzung um ein besseres Gehalt in einem englischen Unternehmen verzichteten Arbeiter auf einen Teil der Lohnerhöhung, um zu verhindern, dass eine Gruppe, die sie nicht mochten, ihnen gleichgestellt wird. Der Grund, einem anderen etwas nicht zu gönnen, ist so stark, dass man selber den Nachteil in Kauf nimmt. Umgekehrt formuliert: Der Neid schadet einem selbst, weil man sich das, was einem nützt, selbst versagt.
Der Neid narkotisiert den eigenen Genuss. Oder die Mindestsicherung: Asyl wird als Grund für die Kürzungen vorgeschoben, aber es trifft Behinderte, Familien mit Kindern, pflegende Angehörige und schadet damit allen. Auf „die Flüchtlinge“ zeigen die Regierenden, die Bedingungen verschärfen sie aber für alle. Das ist wie bei Trickdieben: Es braucht immer einen, der ablenkt, damit einem der andere die Geldbörse aus der Tasche ziehen kann. Die „Ausländer“ werden ins Spiel gebracht, weil sonst die Kürzungen nicht durchgesetzt werden könnten. Keiner alten Frau, keinem Menschen mit Behinderungen, keinem Niedriglohnbezieher geht es danach besser. Im Gegenteil. Durch den Neid auf die Flüchtlinge vergisst man das. Diese Verblendung, dass der Neider lieber selbst auf etwas verzichtet, als es dem Beneideten zu gönnen, geschieht zum eigenen Schaden und nützt den weit Mächtigeren. Der Neid ist immer ein Feind des Miteinander und ein Freund der Mächtigen. Er ist ein Instrument, um diejenigen, die sich eigentlich zusammenschließen könnten um ihre eigene Lebenssituation zu verbessern, zu spalten.
Positiv gesprochen: Der Neid weist mich auf das hin, was ich eigentlich gerne hätte oder gerne wäre, was ich brauche, was mir gefällt, was ein gutes Leben ermöglicht. „Genießen“ kommt aus dem Mittelhochdeutschen und heißt: die Güter gemeinsam „nutz-nießen“. Es hängt sprachgeschichtlich mit „genesen“ zusammen. „Weil wir das, was wir wollen, selbst zu hassen begonnen haben, und es in diesem Hass verkleidet genießen, brauchen wir die Fiktion des anderen als eines echten Besitzers des Glücks, den wir dann genauso hassen wie dieses Glück. Denn wir dürfen uns ja nicht eingestehen, dass wir selbst den Hass auf das Glück dem Glück vorgezogen haben“, formuliert Philosoph Robert Pfaller.
In der Notschlafstelle in Wien beginnen sich Bewohner ausziehbare Wäschetrockner zu organisieren, die sie vor ihren Zimmerfenstern montieren, um ihre Hemden draußen zu trocknen. Die Zimmer sind eng, der Platz ist begrenzt, die Luft ist knapp. Soweit so sinnvoll. Die neuen Trockner lösen aber bei den Anrainern große Empörung aus. Wie schaut das aus? Im Hof? Was soll das? Die Notschlafstelle wird mit erbosten Anrufen bombardiert. Nach wenigen Tagen aber, wie von Zauberhand, wachsen aus den anderen Fenstern im Hof dieselben ausziehbaren Trocknervorrichtungen. Das ist offensichtlich keine so schlechte Idee. Finden auch die Anrainer. Die Zimmer sind im gesamten billigen Altbau eher klein, so spart man Platz und hält die Feuchtigkeit draußen. Die wütenden Angriffe waren ab diesem Moment übrigens verflogen.