Es gibt Menschen, die schauen auf die anderen Fahrgäste, wenn sie mit dem Bus fahren, schauen, wer einsteigt und wie man es im Miteinander löst, dass der Platz für den Kinderwagen frei wird. Menschen, die umsichtig sind, wenn sie einem auf dem Gehsteig entgegenkommen, und die sich trotzdem entschuldigen, sollte sich ein Touché nicht vermeiden lassen. Menschen mit feinen Antennen, die sich einfühlen in das Gegenüber, um eine Vorstellung davon zu entwickeln, wie sich das eigene Handeln für den anderen auswirkt.
Diese Menschen haben es derzeit nicht leicht in Österreich. Sie kommen, das beobachte ich in meinem Umfeld, zuletzt immer häufiger an einen Punkt, an dem sie ermatten. Ständig müssen sie erleben, dass sie Verantwortung für andere übernehmen, die Anderen aber keine für sie. Mehr noch, sie werden für ihr Engagement nicht selten geschmäht, ja, wenn sie offen für Toleranz, Vielfalt und Demokratie einstehen, sogar beschimpft. Verantwortung ist out, spätestens seit der Corona-Pandemie – seitdem ist die „Eigenverantwortung“ in.
Eigenverantwortung, damit ist gemeint: Ich handle so wie ich will und verbitte mir jede Einmischung von außen. Weder wird Dialog noch Lösung gesucht. Statt argumentiert wird diskreditiert. Wer eine solche Eigen-Verantwortung predigt,will Verantwortung in Wirklichkeit abschaffen. Das dient vor allem dem Interesse jener Parteien, die nur dann Stimmen gewinnen können, wenn die Menschen, die sie wählen, ihrer Verantwortung, nämlich einer historischen, entsagen – als referenziere das Gegenwärtige nicht auf das Vergangene.
In diesem Klima wird Widerspruch grundsätzlich als Affront gelabelt. Mehr noch, ohne den körperlichen, den Augenkontakt, der uns miteinander verbindet, hoffnungsvoller macht, dient jeder Gesprächsanlass einem Frontalangriff: Im Internet kann man ungezügelt eigenverantwortlich sein. Konsequenzen gibt es keine; im Gegenteil, belohnt wird, wer am lautesten schreit – und weil schon so viel geschrien wird, drehen sich die Regler täglich weiter nach rechts.
Und so kommt es, dass sich die Menschen, die sonst so fürs Miteinander eintreten, erst recht nach dem Hochwasser, dem 1000-jährlichen, und nach der Nationalratswahl, der geschichtsträchtigen, fragen: Warum sollte eigentlich ich immer die Extrameile gehen? Wieso sollte ich nicht mal im Weg stehen, auf meinem Platz sitzen bleiben, den Bereich für den Kinderwagen besetzen dürfen?
Euch lieben Menschen, denen ich hiermit von ganzem Herzen meine Hochachtung ausspreche, möchte ich antworten:
Wenn ihr nicht mehr Verantwortung übernehmt, wer dann?