Wird Identität festgestellt, so ist das die Feststellung der Gleichheit mit sich selbst. Identität ist für staatsbürgerliche Rechte und Pflichten ebenso wie in Kriminalfällen von entscheidender Bedeutung. Ist durch Dokumente oder mittels Fingerabdruck objektiv bewiesen, dass eine in Frage stehende Person identisch ist mit der Person, die staatsbürgerlich unter dem Namen NN registriert ist, so hat das weitreichende Folgen. Identität ist die Grundlage für Gesetze und Rechtsprechung in einer Demokratie.
Wegen dieser unabdingbaren Gültigkeit wird der Begriff Identität gern als emotionale Leimrute verwendet, und zwar in Fällen, in denen es im Grunde um Machtanspruch geht. In zahlreichen Zusammenhängen ist es auch eine simple Verwechslung mit dem psychologischen Fachbegriff der gefühlten Identität, also des Selbstbildes. Gefühle und das gefühlte Selbst(-bild) sind wandelbar, subjektiv und ausschließlich individuell gültig. Im Gegensatz zur objektiv feststellbaren, tatsächlichen Identität.
Sehr oft werden auch Identifikationen als Identität ausgegeben, – was sie nicht sind. Der wesentliche Unterschied zu Identität ist wieder die Veränderbarkeit. Identifikationen sind auswechselbar; Identität IST. Alles ist jederzeit identisch mit sich selbst.
Wie es Ludwig Wittgenstein in seinem berühmten Tractatus formuliert: „Von zwei Dingen zu sagen, sie seien identisch, ist ein Unsinn, und von Einem zu sagen, es sei identisch mit sich selbst, sagt gar nichts.“ Sich darauf berufend schreibt Konrad Paul Liessmann in der NZZ: „Denn ein Mensch kann nur mit sich selbst identisch sein, […]. Und zu behaupten, ein Mensch wäre mit einer Eigenschaft oder einem Merkmal identisch, also deckungsgleich mit diesem, ist offensichtlich ein Unsinn.“
Aber auch von Individualität, Herkunft, Selbstdefinition, Selbstwertgefühl, sexueller Orientierung, Gruppenzugehörigkeit etc. wird oft per Identität gesprochen und geschrieben. All diese Inhalte profitieren dann vom Rechtsanspruch, den der Begriff Identität mit sich bringt und von der Priorität, die ihm zugesprochen wird.
Um es ins Alltägliche und zum Begriff einer angeblichen österreichischen Identität zu rücken: Wenn die Polizei Sie anhält und einen Identitätsnachweis verlangt, müssen Sie selbst als Österreicher^in kein Bekenntnis zu Dirndl, Lederhose, Nikolo oder Religion ablegen oder von Ihrer sexuellen Orientierung oder Abstammung erzählen, sondern sie brauchen einen Identitätsnachweis. Alles andere wäre eine Verhöhnung der Staatsgewalt oder geisteskrank. Oder gängige Sprachverwirrung.
Je diffuser ein Begriff eingesetzt und je mehrdeutiger er verwendet wird, desto eher kommt es zu Missverständnissen. Es wird der Irrationalität Vorschub geleistet. Eine angeblich aus dem Gespräch resultierende Übereinkunft bezeugt da eher Gruppendruck, emotionalen Schulterschluss, Gefolgschaftswille oder ähnliches. Nicht zuletzt deshalb leiten die Identitären ihre Selbstbezeichnung von Identität ab.
Zu den schon genannten Begriffen wie Identifikation, Selbstbild, Individualität, Selbstdefinition, sexuelle Orientierung und Abstammung werden auch folgende Begriffe häufig fälschlicherweise in Identität umbenannt: Individualität, Selbstwertgefühl, Gruppenzugehörigkeit und anderes mehr. Auch wenn Abstammung und Muttersprache aus biografisch/geschichtlicher Sicht selbstredend unabänderlicher Teil des eigenen Lebens sind, sind sie deswegen nicht auch Identität. Die Identitären wussten genau, welche Machtzuschreibung sie sich zu holen beabsichtigen, wenn sie ihre Selbstbezeichnung als von „Identität“ stammend definieren und sich die Deutungshoheit darüber anzumaßen begannen.
Aus dem Wirrwarr der möglicherweise gemeinten Inhalte wird der Begriff Identität wohl nicht so rasch wieder ausschließlich zurück in die demokratiepolitisch so wichtige, ihm ureigenste Bedeutung geholt werden können. Trotzdem empfehle ich als Sofortmaßnahme jeweils zu differenzieren und ihn richtigzustellen, entweder mit einem der schon genannten Begriffe oder auch allgemein mit „… gehört zu meinem/deinem/unseren Leben“.
Diese Korrektheit macht erstens Gespräche und Diskussionen sachbezogener; sie ist zweitens demokratiepolitisch wichtig; und drittens kann das Denken damit leichter im rationalen Bereich gehalten werden.