Wenn ein österreichischer EU-Abgeordneter, den ich nicht zu nennen vermag, den „Hexenhammer“[1]schwingt, indem er drei Frauen in hohen öffentlichen Ämtern als Hexen[2] bezeichnet, die er „die Peitsche spüren lassen“ will, und sie – und mit ihnen vermutlich alle Personen weiblichen Geschlechts – damit zu beleidigen glaubt, ist es kein genialer Einfall, sondern ein billiges Zugreifen in die Wortschatzschublade populistischer Rhetorik: die verbale Keule.
Wir kennen diese provokativen Schlagworte, assoziativen Neologismen, vorurteilbehafteten Formulierungen wie „Raubkapitalismus“, „unser christliches Abendland“, „der große Austausch“ oder „das Boot ist voll“, die sich über die Boulevard-Presse, den Villacher Fasching und die Stammtische Österreichs wie Lauffeuer verbreiten.
Im Grunde wird da eine Sprachohnmacht sichtbar, die Angst und Unsicherheit ahnen lässt: Statt Argumente zu bringen, lenkt er vom eigentlichen Thema ab und reduziert die Debatte auf eine einseitige Wortschlacht, die den Eindruck erwecken soll, dass Gefahren von diesen politischen Gegnerinnen ausgehen.
Er versucht also hier diese drei Politikerinnen bloß aufgrund ihres Geschlechtes durch die Zuschreibung von Merkmalen der althergebrachten Feindfigur der Hexe zu diskreditieren und zu stigmatisieren, ist doch die Hexe – vor allem in Verbindung mit „böse“ oder „alte“ – im Allgemeingebrauch dank der manichäischen Welt unserer Kindermärchen noch immer negativ konnotiert, wie der Wolf oder die Schwiegermutter. Im Duden steht folgende Definition: Im Volksglauben, besonders in Märchen und Sage auftretendes weibliches [dämonisches] Wesen (oft in Gestalt einer hässlichen, buckligen alten Frau mit langer, krummer Nase), das über Zauberkräfte verfügt [und damit den Menschen Schaden zufügt].
Als Beispiele bei <Hexe> steht: BEISPIELE böse, alte Hexe! / Sie wurde als Hexe verfolgt und schließlich verbrannt. Dem <Hexer> dagegen steht eine harmlosere Definition zu: als mit dem Teufel im Bunde stehend betrachtete, über angebliche Zauberkräfte verfügende männliche Person. Selbst im einzigen Beispiel wird die systematische Zuschreibung relativiert: Der angebliche Hexer wurde angeklagt.
Das Wort „Hexenhammer“ erinnert mich an die „Nazikeule“, diese Wortschöpfung, mit der sich populistische Politiker als Opfer stilisieren, aber mit dem wesentlichen Unterschied, dass bei dem Hexenhammer, der Hexenkeule, die Betroffenen – in unserem Fall die Frauen – sich den Begriff „Hexe“ im Sinne einer Selbstermächtigung ironisch aneignen und die Brandmarkung zum Geusenwort[3] umdeuten können.
Ja, wir Frauen – und alle die sich solidarisieren wollen – sind Hexen. „Hexe“ ist keine Beleidigung, sondern ein Kompliment, denn die Bezeichnung steht für Selbstbestimmung, Wissen, Klugheit, Solidarität und Stärke. Die Hexerei ist eine feministische Metapher, wie die Schweizer Autorin und Journalistin Mona Chollet in ihrem Buch Hexen. Die unbesiegte Macht der Frauen[4] schreibt: „Die Hexe […] ist der einzige weibliche Archetyp, der aus sich heraus Macht besitzt. Hausfrau, Schwester, Mutter, Jungfrau, Hure: Diese Archetypen basieren auf Beziehungen zu anderen. Die Hexe dagegen ist eine Frau, die ganz für sich alleinsteht.“
Kann man also davon ausgehen, dass der besagte Politiker das Buch gelesen hat und nicht nur an Sprachohnmacht leidet, sondern auch an einem von Günter Traxler im Standard geprägten Leiden: „Besenneid“?
[1] Der Hexenhammer (Malleus maleficarum), erstmals 1486 gedruckt, ist ein Werk des deutschen Dominikaners, Theologen und Inquisitors Heinrich Kramer, das die Hexenverfolgungen durch den Papst legitimierte.
[2] Die neu gewählte Parlamentspräsidentin Roberta Metsola, EZB-Präsidentin Christine Lagarde und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bezeichnete der Politiker als „politisches Hexentrio“, das „diesen Kontinent in den Abgrund führt ...“.
[3] Als Geusenwort bezeichnet man in der Linguistik ein Wort, das ursprünglich zur Diffamierung einer bestimmten Gruppe diente, aber von derselben in eine positiv konnotierte Selbstbezeichnung umgewandelt wurde. Zum Beispiel die Bezeichnungen schwul, Yankee, Sansculotte, oder das türkische Wort Çapulcu, das auf eine Rede des türkischen Ministerpräsidenten Erdoğan zurückgeht, der die Demonstranten der Gezi-Park-Proteste 2013 als „çapulcu“ bezeichnete (türkisch für „Marodeur“ oder „Plünderer“). In der Folge nannten sich internationale Prominente, unter ihnen Noam Chomsky, einen Çapulcu.
[4] Mona Chollet, Hexen. Die unbesiegte Macht der Frauen, aus dem Französischen übersetzt von Birgit Althaler, Nautilus Flugschrift, 2020.