„Le Nationalisme, c’est la guerre“
Europäisches Parlament, Straßburg
(Francois Mitterand, 15.1.1995)
Es ist der Charme der Worte, der verführt. Zumindest auf den ersten Blick. Klingt doch „Vaterland“ nach dem Wohlfühlbegriff der Heimat, des Daheims, des Ursprungs. Dort, wo man herkommt und wohlgebettet zu Hause ist. Und doch entpuppt sich „Vaterland“ bei näherem Hinsehen als ein Begriff, der auch den Sprengstoff der Zerstörung in sich birgt.
Und der vata denkt an früher
Hört die grausamen stiefel marschieren
Und im geist
Da marschieren di noch immer
Und schon morgen ko des wieder passieren ...[1]
„Europa der Vaterländer“, davon dürfe man sich nicht täuschen lassen, findet der deutsche Philosoph Christoph Quarch[2]. In dem Begriff stecke überbordendes Männlichkeitsgehabe. Dem Vaterland müsse man wehrhaft dienen. Das Militärische klingt durch. Die „Überhöhung des Maskulinen“, als Gegenwelt einer freien und offenen Gesellschaft, einer liberalen Demokratie, wie wir sie leben (und leben wollen). War nicht in der griechischen Mythologie „Europa“ eine weibliche Gestalt, eine phönizische Schönheit, die von Jupiter (Zeus) nach Kreta (gewaltsam!) entführt wurde?
Europapolitisch gedacht ist ein „Europa der Vaterländer“ der Gegenentwurf zur Politik der Integration. Es will eine Neuordnung Europas als lockere Verbindung zwischen den EU-Mitgliedstaaten, wobei die Souveränität der einzelnen „Vaterländer“ unangetastet bleiben soll. Die Renaissance, ja Stärkung der Nationalstaaten. Robert Schuman, der französische Außenminister der 50iger Jahre, hatte anderes im Sinne: Nach den Schrecklichkeiten des Weltkrieges, nach Millionen von Toten, nach der Schoah, nach Auschwitz, Vertreibung, hatte Schumann die Idee, die strategischen Rüstungsgüter der damaligen Zeit – Kohle und Stahl – der (ehemaligen) Erzfeinde Frankreich und Deutschland unter die Verwaltung einer unabhängigen Behörde zu stellen. Diese Idee wurde umgesetzt: die „Europäische Gemeinschaft von Kohle und Stahl“ (EGKS) entstand, Nukleus der späteren „Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft“ (EWG), der heutigen Europäischen Union.
Es ist die Grundidee der europäischen Integrationspolitik, dass die Mitgliedstaaten auf Teile ihrer Souveränität verzichten, diese an gemeinsame Institutionen – das Europäische Parlament, die Europäische Kommission – zu delegieren, um Politikbereiche gemeinsamen Interesses „auf europäischer Ebene“ miteinander zu gestalten. Wie bestechend einfach als Idee, wenn auch kompliziert und schwierig in der Praxis umzusetzen. Denn es bedarf eines Aufeinander-Zugehens, es bedarf der Kompromisse.
Es entspricht nicht der Wahrheit, dass „Brüssel über unsere Köpfe hinweg“ bestimmt. Denn es besteht ein fein austariertes Netz an Verflechtungen der Akteure, einer strukturellen Verfasstheit der europäischen Institutionen – Rat, Parlament und Kommission - die sich von den Werten der Freiheit, der Gleichheit und Geschwisterlichkeit leiten lassen.
„Europa der Vaterländer“ will dies aushebeln. Will die Union rückbauen. Und zurückwerfen in eine Zeit, in der Stärke, in der ein Pater familias, in der das Vaterland, also der Nationalstaat das bestimmende Element auf unserem Kontinent sein soll. Das hatten wir bereits einmal: Ein Europa der Vaterländer, miteinander konkurrierend, sich voneinander abgrenzend, die nationalen Interessen über alles stellend. Und dies kann den Keim künftiger, auch militärischer Konflikte in sich tragen.
[1] Konstantin Wecker, vaterland
[2] In: Deutschlandfunk Kultur, „Der Ruf nach einem ‚Europa der Vaterländer‘ ist hohl“, ein Kommentar von Christoph Quarch, 08.09.2023