„Regis voluntas suprema lex“ – der Wille des Königs ist oberstes Gesetz. Nach dieser Regel wurden die Völker dieser Erde über Jahrtausende hinweg wie selbstverständlich regiert. Doch schon im Altertum regte sich Widerstand gegen diese Willkürherrschaft. Roms letzter König Tarqininius Superbus wurde gestürzt und mit ihm das Königtum abgeschafft. Das Zeitalter der Römischen Republik begann, allerdings als Adelsrepublik. Eine noch heute verblüffende Ausnahme im Altertum bildete die direkte Demokratie im Stadtstaat Athen um 500 v. Chr.. Erstmalig nahmen freie Bürger die Geschicke ihres Staates in die Hand, nachdem sie entscheidend zum Sieg gegen das Perserreich beigetragen hatten. Griechenland galt daher als Mutterland der Demokratie.
Im Mittelalter bildete in England die Magna Charta libertatum (die Große Urkunde der Freiheiten) einen Meilenstein gegen willkürliche Königsherrschaft. Adel und Klerus rangen König Johann ohne Land 1215 fundamentale Zugeständnisse ab, darunter ein Verbot willkürlicher Verhaftungen. Das Selbstbewusstsein des englischen Volkes wuchs. Bereits im 14. Jahrhundert bildete sich als dauerhafte Institution ein Parlament heraus, in dem auch Vertreter des „gemeinen“ Volkes ihren Sitz hatten. Es entstand ein Zweikammersystem mit dem „House of Commons“ (Bürgertum) und dem „House of Lords“ (Adel). England wurde somit zum Mutterland des Parlamentarismus. Als im 17. Jahrhundert der Stuart-König Charles I. versuchte, ohne Parlament absolut zu regieren, brach ein Bürgerkrieg aus, der dem König nach der Niederlage seines Heeres den Kopf kostete.
In den anderen Ländern Europas trug fast ausnahmslos der fürstliche Absolutismus den Sieg davon. Das Schicksal der Staaten und ihrer Bevölkerung hing vom Charakter, den Interessen, aber auch vom geistigen und gesundheitlichen Zustand, von Lang- oder Kurzlebigkeit des jeweiligen Herrschers ab. Das 18. Jahrhundert war geprägt von Erbfolgekriegen nach dem Aussterben einer Dynastie im Mannesstamm. Es war aber auch das Jahrhundert der Aufklärung, die ein richtungsweisendes Umdenken mit sich brachte. Bisher als unumstößlich geltende Werte wurden hinterfragt. War die erbliche Herrschaft einer bestimmten Familie wahrhaftig als gottgegeben unumstößlich? Das dem Herrschertitel beigefügte „von Gottes Gnaden“, ursprünglich eine Demutsgeste vor dem allmächtigen Gott, hatte sich zu einer eigenen Ideologie (Legitimismus) gewandelt. Diese eine Familie sei von Gott auserwählt zu herrschen - und nur sie. Das infrage zu stellen, komme einer Gotteslästerung gleich und sei schwerstens zu ahnden. Das bedeutete nichts weniger als eine religiöse Rechtfertigung fürstlicher Willkürherrschaft. Manche Monarchen sahen sich als Anhänger der Aufklärung als „Erste Diener des Staates“ zum Wohle des Volkes. Sie setzten vorbildliche Reformen um, wie etwa Kaiser Joseph II. in Österreich oder Friedrich der Große in Preußen. Doch ihr Wirken hatte einen Haken: sie handelten nach dem Prinzip Alles für das Volk, nichts durch das Volk. Für sie war das Volk eine Schar unmündiger Kinder, die väterlich an der Hand genommen und zum eigenen Wohl geführt werden müssten.
Jahrzehntelange Misswirtschaft machte Frankreich reif für eine Revolution und sie kam im Juli 1789. Der Sturm auf das Staatgefängnis Bastille, steinernes Symbol königlicher Willkürherrschaft, war der Anfang einer Umwälzung, die für ganz Europa von größter Bedeutung wurde. Die Parole „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ hatte zündende Wirkung, die die Monarchen „von Gottes Gnaden“ erzittern ließ. Sie hatten dem nichts entgegenzusetzen. Denn eine Idee lässt sich nur durch eine bessere Idee wirksam bekämpfen, und die hatten sie nicht zu bieten. Was hoffnungsvoll mit dem Sieg des Bürgertums als bestimmende politische Kraft begonnen hatte, endete in Frankreich in einem blutrünstigen Terrorregime, das an sich selbst scheiterte. Was folgte war Napoleon Bonaparte, der durch seine Siege am Schlachtfeld ein französisch geprägtes europäisches Imperium schuf, bis er letztendlich in Waterloo endgültig bezwungen wurde. Das Europa der alten Monarchien ordnete sich am Wiener Kongress 1814/15 neu im Sinne der restaurativen Kräfte, der Willkürherrschaft der Monarchen alter Schule in Kontinentaleuropa war wieder Tür und Tor geöffnet.
Doch ihre Angst vor revolutionären Ideen blieb, denn sie waren ansteckend. Ein rigides polizeiliches Überwachungssystem sollte jede „staatsgefährdende“ Tätigkeit im Keim ersticken. Doch die Freiheit der Gedanken ließ sich nicht unterdrücken, so rigoros konnte die Überwachung gar nicht sein, als dass nicht doch „aufrührerische“ Schriften unter Intellektuellen Verbreitung fanden. Der Vormärz als Wegbereiter einer Revolution gegen den alles erstickenden Stillstand wurde immer deutlicher fühlbar. Im März 1848 brachen in weiten Teilen Europas Revolutionen aus. Von den Ereignissen überrollt, machten die Herrscher Zugeständnisse, gewährten der Not gehorchend Konstitutionen, Presse- und Versammlungsfreiheit. Was so hoffnungsreich begonnen hatte, endete in einem Desaster, denn letztendlich obsiegte die Macht der Fürsten.
In Österreich suchte die siegreiche Reaktion ihr Heil im Neoabsolutismus unter dem jungen, von Militärs und seiner Mutter geleiteten Kaiser Franz Joseph. Das Militär hatte den Thron der Habsburger gerettet, seinen Interessen hatte sich alles unterzuordnen, gewählte Organe waren obsolet. Grollender Adel und Militär einerseits, wegen seiner Niederlage grollendes Bürgertum andererseits spalteten die Gesellschaft. Doch die Rückkehr monarchischer Willkür war nur von kurzer Dauer, die militärischen Niederlagen von Solferino und Königgrätz machten die bürgerliche Mitbestimmung in der Politik unumgänglich.
Nach dem Ausgleich mit Ungarn, der die Doppelmonarchie Österreich - Ungarn etablierte, trat 1867 für die österreichische Reichshälfte die sogenannte Dezemberverfassung in Kraft. Sie garantierte Versammlungs- und Vereinsfreiheit, Pressefreiheit, aktives und passives Wahlrecht auf Gemeindeebene, Freizügigkeit der Person und des Vermögens, Unverletzlichkeit des Eigentums und des Hausrechtes, volle Glaubens- und Gewissensfreiheit, die Juden wurden vollwertige Staatsbürger. Die Verfassung garantierte weiters die Aufhebung jeglicher Zensur, Wahrung des Briefgeheimnisses, Freiheit von Wissenschaft und ihrer Lehre, Freiheit der Berufswahl und der Ausbildung, Gleichberechtigung aller Volksstämme, Freiheit der Auswanderung (durch Wehrpflicht beschränkt). Was die Revolutionäre von 1848 erstrebt hatten, war nun politische Realität, die Opfer waren nicht umsonst gewesen. Der Kaiser behielt zwar große Vorrechte, aber seiner Macht waren Grenzen gesetzt, Österreich war damit eine konstitutionelle Monarchie und damit ein Rechtsstaat. Das Wahlrecht, zunächst durch Steuersätze eng begrenzt, wurde 1907 in das allgemeine, direkte und geheime Wahlrecht umgewandelt, alle Männer ab 24 Jahren konnten somit wählen – ein fulminanter Fortschritt in Richtung Demokratie. Der Erste Weltkrieg setzte dem ein jähes Ende. Die Grundrechte wurden aufgehoben, die Monarchie verwandelte sich in eine Militärdiktatur, die schließlich unterging.
In der 2. Hälfte des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts häuften sich Attentate auf Autokraten und ihre Paladine. Anarchisten glaubten, das Problem der Willkürherrschaft mit Bomben und Revolverschüssen lösen zu können, doch das war ein Irrglaube. Es wechselten nur die Autokraten. In diesem Zeitraum endete aber der monarchische Absolutismus in großen Reichen. Der Zar musste ein Parlament akzeptieren, auch wenn dieses noch wenige Rechte hatte. Im Osmanischen Reich wurde der letzte autokratische Sultan durch die Jungtürkische Revolution gestürzt, in China das Jahrtrausende währende Kaisertum beseitigt und eine Republik proklamiert. Von Demokratie konnte aber noch keine Rede sein. Im Ersten Weltkrieg beging das alte Europa Selbstmord, die großen Kaiserreiche stürzten. Sieger waren die demokratischen Großmächte USA, Großbritannien und Frankreich. Dass das Deutsche Reich nun auch eine demokratische Republik wurde, erweckte große Hoffnungen. Doch die neue Staatsform war für viele Deutsche das Ergebnis der militärischen Niederlage, ihr haftete etwas Aufgezwungenes an. Zu gerne wurde die Lüge von der Dolchstoßlegende geglaubt, nach der linke Kräfte schuld an der Niederlage seien, in dem sie den unbesiegten Soldaten der deutschen Front einen Dolch in den Rücken gerammt hätten. Das Ergebnis dieses Verrats sei die Weimarer Republik. Mit den Jahren wurde immer deutlicher, dass eine Demokratie ohne Demokraten keine Zukunft hat. Die Sehnsucht nach einem Erlöser, einem starken Mann an der Staatsspitze gewann an Boden, befördert durch die katastrophale Weltwirtschaftskrise ab 1929. Die Weimarer Republik wurde von ihren Gegnern als „System“ diffamiert, ihr die alleinige Schuld an Not und Elend zugeschrieben. Und schließlich bekamen die Deutschen das, was allzu viele ersehnten: die Diktatur eines Mannes, der aus dem Nichts durch sein Redetalent aufgestiegen war und der unter Missachtung aller religiösen und humanistischen Werte entschlossen war, eine neue Welt auf der Basis einer abstrusen Rassenideologie zu erschaffen, auch um den Preis eines fabrikmäßig organisierten Massenmordes.
Auch sonst wandelten sich in Europa immer mehr Staaten zu rechten Diktaturen, seien es Militär- oder auch Königsdiktaturen. Dies war die Reaktion auf die Ereignisse in Russland nach dem Sturz des Zarentums. Das „Gespenst des Kommunismus“ auf der Basis der Lehre von Karl Marx nahm dort realpolitische Züge an und setzte sich in einem jahrelangen Bürgerkrieg schließlich durch. Die „Diktatur des Proletariats“ beanspruchte weltweite Geltung und agitierte international in Form der Komintern. Als bestes Abwehrmittel präsentierte sich der Faschismus, ihm schien die Zukunft zu gehören, sei es in Mittel – oder Südeuropa. Doch dann kam der Zweite Weltkrieg, der mit der Niederlage des Faschismus endete.
Europa wurde neu geordnet. Auf allen Territorien, die die Rote Armee erobert hatte, entstanden sogenannte Volksdemokratien, der Pleonasmus suchte darüber hinwegzutäuschen, dass es in Wahrheit kommunistische Diktaturen waren, die vortäuschten, im Interesse des Volkes Politik zu machen. Ihren ideologischen Grundsätzen durfte bei Gefahr für Leib und Leben nicht zuwiderhandelt werden. Als Deutsche Demokratische Republik gab sich der zweite 1949 geschaffene deutsche Staat aus, obwohl diese „Arbeiter – und Bauernrepublik“ nichts weniger war als demokratisch. Der sich auch nicht scheute, die eigene Bevölkerung hinter einer Mauer einzusperren und dies als „antifaschistischen Schutzwall“ gegen den übelwollenden „Klassenfeind“ zu deuten. Dann brachte die Wende von 1989 den Zusammenbruch der Ostblockstaaten, bis schließlich auch die Sowjetunion trotz Glasnost und Perestroika von Michail Gorbatschow in Einzelstaaten zerfiel. Die einstigen Satellitenstaaten Moskaus wandelten sich in Demokratien nach westlichem Muster. Groß war die Freude, dass dieser Wandel möglich geworden war. Die Teilung Deutschlands wurde nach dem Mauerfall überwunden, die DDR war Geschichte. Die Welt schien auf glückliche Zeiten zuzugehen, hatte sich der unstillbare Hunger nach Freiheit unter der Parole „Wir sind das Volk“ bezahlt gemacht und als unbezwingbar geltende Diktaturen zu Fall gebracht. Doch die Freude über den Sieg der Demokratie in Ost- und Mitteleuropa war verfrüht, vielleicht sogar naiv. Nationalistische Tendenzen gewannen an Boden. Es ist die Rede von einer illiberalen Demokratie. Die Justiz habe der Politik zu folgen, nicht umgekehrt, wurde und wird propagiert. Die Gewaltenteilung als unverrückbares Grundelement einer Demokratie wurde in einzelnen neuen EU-Mitgliedsstaaten mit kommunistischer Vergangenheit durch Gesetzesänderungen verletzt: die Basis zur Etablierung einer Willkürherrschaft neuer Prägung, die vorgibt, „abendländische Werte“ zu sichern. Vielen ist dadurch bewusst geworden, dass Demokratie keine Selbstverständlichkeit ist, sondern in einem permanenten Prozess gesichert und ausgebaut werden muss. „Die Demokratie ist die schlechteste Staatsform, ausgenommen all diese anderen, die man von Zeit zu Zeit ausprobiert hat“, stellte einst Winston Churchill fest. Für ihn war die Demokratie keineswegs die beste aller Staatsformen, sondern eben nur die beste der bis zu seiner Zeit erprobten. Gemeint ist, dass alle anderen erprobten Staatsformen schlechter sind als die Demokratie.