Ich bin ein Gutmensch. Ich stehe dazu, ja, ich bin sogar ein wenig stolz darauf. Ich meine es gut mit den Menschen (den meisten zumindest) – im Gegensatz zu den Bös- oder Schlechtmenschen, die nur Böses und Schlechtes ihren Zeitgenossen und -genossinnen wünschen (und nicht selten auch noch antun). Ich bin ein Gutmensch. Ich glaube an das Gute im Menschen und möchte es nicht bloß bewahren, sondern es auch noch vermehren.
Deshalb grüße ich stets freundlich – ungeachtet meiner momentanen (Ver-)Stimmung – und lächle mein Gegenüber an und bekomme in den meisten Fällen das Lächeln erwidert. Bei den wenigen, die dies nicht tun, kann es sich nur um Bös- oder Schlechtmenschen handeln; denen gehe und radle ich aus dem Weg und hoffe, ihnen nicht mehr begegnen zu müssen. Ich bin ein Gutmensch. Ich bin der Überzeugung, dass man Konflikte nur lösen kann, indem man (oder frau) einen Schritt zurücktritt und die Situation mit fremden Augen zu betrachten sucht; indem man durchatmet, nicht gleich losschreit und schon gar nicht zuschlägt. Wenn es so weit zu kommen droht, erinnere ich mich stets jener Zen-Anekdote, in der ein Klostervorsteher beobachtet, wie einmal ein junger Mönch, der noch nie da war, und ein anderes Mal ein alter Mönch, der schon mehrmals da war, vom Zen-Meister dieselbe Anweisung erhält: „Trink erst einmal eine Tasse Tee!“ Auf die Frage, was das soll, erhält der verwunderte Vorsteher vom Zen-Meister die Antwort: „Trink erst einmal eine Tasse Tee!“ Ich bin ein Gutmensch. Aber einer, der weiß bzw. befürchtet, dass Konflikte zwischen Staaten, Ethnien und religiös fanatisierten Gruppen auf diese Weise wohl nicht zu lösen sein werden; dass es verfahrene, ausweglose Situationen gibt, die sich nicht klären lassen – nicht durch friedliches Lächeln, aber schon gar nicht durch Mord und Totschlag. Da hätte man schon früher eine Tasse Tee trinken müssen …
Ich weiß nicht, wann genau das Wort aufkam und wer es zum ersten Mal verwendete (ich vermute, es war zur Zeit der sogenannten „Flüchtlingskrise“ oder vielleicht auch schon früher im Zusammenhang mit „friedensbewegten“ AktivistInnen). Ich weiß nur, dass ich zutiefst empört war, als ich es zum ersten Mal hörte. Denn der Begriff – so weit war unmittelbar evident – war nicht als Lob gemeint, sondern als Herabwürdigung, aus der Häme klang und die damit Bezeichneten als naive Geister desavouierte, denen nicht zu helfen sei. „Gutmensch“ ist nah verwandt dem „Schöngeist“, ein ähnlich hässliches Wort, das das Gegenüber als weltabgehoben und lebensfremd, nur den Schönen Künsten und nicht der rauen Realität zugetan abstempelt. Beide Begriffe nehmen den oder die anderen nicht ernst, sondern machen sie verächtlich – ein erster Schritt hin zur Absonderung oder gar zur Auslöschung.
„Gutmensch“ wurde und wird vom Lager rechts bzw. sehr rechts der Mitte verwendet und dient dazu, eine Kommunikation, in der mit Argumenten für und wider gearbeitet wird, gar nicht erst aufkommen zu lassen; Menschen anderer Gesinnung lächerlich zu machen und die eigene Position als die einzig wahre zu deklarieren. So verwendet ist das Wort als demokratiegefährdend einzustufen, das man sich ja nicht zu eigen machen sollte. Dennoch: Ich möchte es retten für die „gute“ Sache, für jene, die Gutes meinen und Gutes tun. Denn der logische Umkehrschluss wäre – siehe oben –, dass der oder die andere ein Bös- oder Schlechtmensch ist. Und das will doch niemand sein. Oder?