Die Trennung von Staat und Kirche ist ein demokratisches Prinzip. Beide sind in sich geschlossene Systeme. Beide stehen gleichberechtigt nebeneinander. Eine gegenseitige Beeinflussung soll und muss jedoch im Sinne der staatlichen Unabhängigkeit weitestgehend vermieden werden. Der Staat handelt religionsneutral, d.h. erstens verhält er sich neutral gegenüber allen Religionen, und zweitens verhält er sich neutral gegenüber allen Bürgern, egal, ob und welchem Glauben sie angehören.
In dem Zusammenhang mutet es äußerst fragwürdig an, wenn eine politische Partei – namentlich die FPÖ – einen Spruch aus der Bibel zu einem ihrer Slogans macht.
„Euer Wille geschehe“ steht fett gedruckt und blau auf weiß auf einem von Herbert Kickls Wahlplakaten für die Nationalratswahl 2024. Dabei handelte es sich um eine leicht abgewandelte Zeile aus dem „Vater unser“, wo es – an Gott gerichtet – „Dein Wille geschehe“ heißt. Kickls Slogan richtet sich allerdings an das so genannte Volk. Gottgleich soll es über die Zukunft des Landes entscheiden, wobei folgender darin mitschwingender Kurzschluss naheliegt: Nur eine Entscheidung für den „Volkskanzler“ würde dem göttlichen Willen entsprechen.
Eine solche Vermischung der Ebenen ist nicht nur fragwürdig, sie ist auch gefährlich. Hier wird mit christlichem Vokabular und damit verbundenen christlichen Gefühlen gearbeitet, die im politischen Kampfgeschrei trotz aufgeheizter Stimmung außen vor zu bleiben haben. Und wer sollte das eigentlich besser wissen als die FPÖ, die mit Vorliebe gegen den zunehmenden politischen Islam in unserem Land zu wettern pflegt? Im Islamismus sieht sie zu Recht eine unselige Verquickung zwischen Glauben und Politik, eine Verquickung, die unter anderem die Unterdrückung der Frau, die Ausgrenzung von Andersgläubigen und die Ablehnung von sexuell-geschlechtlicher Vielfalt zur Folge hat.
Ein islamistisches Wahlplakat – angenommen, es gäbe eins – würde aus dem Koran zitieren, um damit seine Glaubwürdigkeit zu untermauern.
Dass sich Kickl und seine FPÖ nun just ins selbe Fahrwasser begeben, indem sie aus der Bibel zitieren, kommt somit einer zynisch-blasphemischen Verkehrung des eigenen Programms gleich. Aber vielleicht – das sei dahingestellt – ist es ja gar keine Verkehrung? Vielleicht gibt es ja im Gegenteil gewisse Parallelen zwischen dem Extremismus der einen und dem der anderen Gruppierung?
Für die Trennung von Staat und Kirche hat man lange – nämlich seit der Aufklärung – gekämpft, und die positiven Errungenschaften, die damit einhergingen – darunter die Religionsfreiheit – gehören bis heute zum fixen Bestandteil des demokratischen Fundaments, auf dem wir uns als diverse Gesellschaft bewegen. Wir dürfen glauben. Wir müssen aber nicht.
Religion ist gerade in den letzten Jahrzehnten mehr und mehr zur Privatsache geworden. Und das ist auch gut so. Jedem/r einzelnen obliegt es, seine/ihre konfessionelle oder auch über-konfessionelle Ausrichtung zu leben oder eben auch nicht. Dem Gebet kommt dabei eine besondere Rolle zu. Es stellt das persönliche Gespräch zwischen dem/der Gläubigen und dem Gegenstand seines/ihres Glaubens dar. Das „Vater unser“ ist eines dieser Gebete. Von Millionen Christen gebetet, zählt es zu den innigsten, da hingebungsvollsten Gebeten, die die Bibel ihren LeserInnen zum Geschenk gemacht hat. Es leitet zur Akzeptanz an.
Um eine weitere Zeile aus dem „Vater unser“ herauszupicken: „Dein Reich komme“. Im spirituellen Kontext spiegelt diese Zeile die treue Ergebenheit des/der Gläubigen wider. Er/sie übergibt sich einem ihm/ihr übergeordneten „Vater“-Prinzip und vertraut sich ihm vollständig an. Was auch immer geschieht, er/sie wird es hinnehmen. Im politischen Kontext allerdings graut dem/der demokratisch Gesinnten vor einer solchen Überantwortung. Sie öffnet Tür und Tor für machtautoritäres Gehabe, welches machtautoritäres Getue nach sich zieht, siehe Ungarn. Kann das wirklich „unser Wille“ sein? Wollen wir uns wirklich der Willkür eines allmächtigen „Vaters“ unterwerfen?
Aus der katholischen Kirche kam übrigens prompt Kritik an der Übernahme der abgewandelten Gebetszeile. Der Lilienfelder Abt Pius Maurer etwa bezeichnete sie als takt- und geschmacklos, und die Wiener Theologin Prof. Regina Polak sprach in der „Furche“ gar von der „Zerstörung der liberalen, menschenrechtsbasierten Demokratie und ihrer Institutionen“. Marketingstrategische Parteipropaganda in Zeiten des Wahlkampfs – ja, klar. Aber bitte ohne den Umweg über das Heilige. Das populistische Einspannen von Weihrauch und Engeln lenkt von der Sache ab, oder anders formuliert: Man sollte, wo es um Politisches geht, die Kirche im Dorf lassen. Die Geschichte hat uns hinreichend gelehrt, wohin es führt, wenn sich Politik und Religion zusammentun. Man denke an die NS-Zeit, wo schon einmal mit der Benutzung von Versatzstücken aus dem esoterischen Bereich Schindluder getrieben wurde. Damals waren es zwar vor allem heidnische Ansätze mit Bezügen zur germanischen Mythologie, auf die man zurückgriff, die selbstverherrlichenden Auswüchse - Stichwort „Übermensch“ versus „Untermensch“- trugen aber durchaus religiös-fanatische Züge. Im Rahmen des Reichskonkordats hatte man zudem das Kreuz mit dem Hakenkreuz versöhnt. Viele der Kritiker aus den katholischen Reihen waren damit erst einmal ruhiggestellt, und noch immer arbeitet man das institutionelle Schweigen auf, welches dadurch in Gang gesetzt wurde. Schweigen, das bedeutet immerhin auch Dulden.
Euer Wille geschehe. Aus dem Slogan spricht die schon oben erwähnte grenzenlose Selbstverherrlichung eines Mannes, des „einzigen auf eurer“ bzw. „unserer Seite“, der sich vorgenommen hat, unser Land in seinem Sinne zu gestalten. Die von ihm gewählte missbräuchliche Sprache lässt jedoch befürchten, dass es - wenn es denn dazu kommt - keine wie von ihm auf einem seiner Plakate ebenfalls angekündigten „fünf guten Jahre“ sind, die uns da bevorstehen.