Wir alle haben gelernt, und die Wissenschaft glaubt immer noch daran: Der offensichtlich triviale Unterschied zwischen männlichen und weiblichen Geschlechtszellen hat die Ungleichheit der Geschlechter fest zementiert: Schenkt man Darwins Theorien Glauben, dann sind männliche Tiere durchwegs aggressiv und aktiv, streben in ihren Handlungen vorwärts und haben nur eines im Sinn: Herrschaft oder den Besitz von Weibchen. Dass sie überall und immer an Paarung interessiert sind und von dem biologischen Imperativ, ihren Samen möglichst weit zu verbreiten, beherrscht werden, versteht sich von selbst. Dadurch ergibt sich, dass die Weibchen widerspruchslos den männlichen Anführern unterlegen und hörig sind. Die Rolle des Weibchens sei von Natur aus die der selbstlosen Mutter, was jede Form von Konkurrenzdenken von Vornherein ausschließt.
Wie Foucault festgestellt hat, leben wir im Zeitalter der Bio-Macht, einer Epoche, in der wir Leben selbst kreieren und optimieren können. Wenn es möglich ist, Leben zu machen, ist es denn dann nicht auch möglich, sein Geschlecht selbst zu wählen.
Immer noch stellen sich Menschen vor, dass das biologische Geschlecht eine einfache Dichotomie zwischen männlichen und weiblichen Chromosomen, als XY und XX-Chromosomen sei. Auf den ersten Blick scheint es nichts zu geben, was sich eindeutiger als „genetisch bestimmt“ festmachen lässt, als der Unterschied zwischen Mann und Frau. Doch dieser Unterschied ist weit weniger spektakulär, als wir denken: Er liegt allein in einem einzigen Y-Chromosom, und wir besitzen insgesamt 46. Spannend ist auch: Der Standard-Plan des menschlichen Körpers ist weiblich, und der Rest wird im Gehirn durch ein Hormon mit dem Namen Testosteron gesteuert. Bei Frauen wird dieses durch das Enzym Aromatase in Östrogen umgewandelt, bei Männern nicht. Zwar bestehen bei der Form des Gehirns zwischen Männern und Frauen kleine Unterschiede – das der Männer ist etwas größer als das der Frauen – doch der „Grundplan“ ist bei beiden derselbe. Die „Maskulinisierung“ des Gehirns entsteht vor der Geburt, schon da kann man eingreifen und manipulieren. Faktoren wie pränataler Stress können Einfluss nehmen. Die psychischen Folgen multiplizieren sich im Laufe der Entwicklung, für die auch soziale Faktoren wie die Sexualität der Mutter ausschlaggebend sind. So kommt es zu einem komplizierten Wechselspiel zwischen biologischem (sex) und sozialem Geschlecht (gender). 0,3 Prozent der Erwachsenen in den USA definierten sich laut Informationen des William Institute an der UCLA von 2011 als „Transgender“, das „Zwischen den Stühlen stehen“ beruht auf einer viel älteren Tradition der „Two-Spirit“-Menschen in den indigenen Völkern und Stämmen Amerikas.
Auch das mit uns angeblich verbundene Tierreich weist eine Fülle zweigeschlechtlicher Wesen auf. So handelt es sich bei vielen wirbellosen Meerestieren wie in etwa Seeigeln, Schnecken, Rankenfüßern und Korallen um hermaphroditische Arten. Fast die Hälfte aller Fischarten fällt in diesen Bereich: der Papageifisch, der Lippfisch, der Zackenfisch, um nur einige zu nennen. Auch was die Geschlechterrollen betrifft, finden wir in der Natur die unterschiedlichsten Spielarten, so tragen in etwa die männlichen Seepferdchen den Nachwuchs aus. Ein besonders beeindruckendes Wesen ist der Anglerfisch, er zeichnet sich durch zwei Beutelchen aus, wobei es sich bei dem große Fischteil um das Männchen und bei den zwei Anhängseln um das Weibchen handelt. Bei manchen Arten sind diese sogar durch einen einzigen Brutkreislauf miteinander verbunden. Also wer ist hier Vater, wer Mutter, und wer erbt was?