Wir sind, wo wir sind, zu Gast. Nichts von all dem, das uns umgibt gehört uns. Wir haben Österreich nicht erworben. Wir sind ohne Besitz in diese Welt geworfen worden und werden ohne Besitztümer wieder von dieser Erde verschwinden. In der Zwischenzeit nützen wir die Vorteile, die uns das Geburtsland bietet. „Wie viel Erde braucht der Mensch?“, fragte 1885 Leo Tolstoi in seiner gleichnamigen Erzählung, die er wie folgt beendet: „Der Knecht nahm die Hacke, grub Pachom ein Grab, genau so lang wie das Stück Erde, das er mit seinem Körper, von den Füßen bis zum Kopf, bedeckte – sechs Ellen –, und scharrte ihn ein.“ So viel Erde braucht der Mensch.
Mit den Besitzansprüchen: Mein Österreich, mein Deutschland, mein Afghanistan, mein Frankreich, mein … wird insistiert, nur wer der Gebürtige eines Landes ist, habe das Recht über das Land (das ihm nicht gehört, siehe oben) zu verfügen. Ein Herr namens Hrvala ist in zweiter Generation österreichischer Staatsbürger. Ist er schon Österreicher? Es geht um Gruppenidentität. Fast bin ich geneigt Schwarminfantilität zu sagen.
Bereits Elias Canetti hat in seinem Monumentalwerk „Masse und Macht“ darauf hingewiesen, dass Gruppenbildung und Identitäten in einer Gruppe dann am effektivsten ausgebildet werden können, wenn eine fremde Gruppe außen vor angenommen oder erfunden werden kann, gegen die es nun gilt, gemeinsam aufzutreten. Durch Erniedrigung des anderen erfolgt Erhöhung des eigenen Status. Gibt es kein geeignetes Feindbild, wird eines erfunden. Was viele Menschen zusammenschließt, ist nicht die Verwirklichung eines Ideals, sondern die Zerstörung des Anderen, der Außenstehenden. Es sind irrationale jedoch hoch emotionale Beweggründe, die zu dieser Bildung von verschworenen Gemeinschaften führen.
Irritierend ist in diesem Zusammenhang die Tatsache, dass in jenen Bezirken Wiens, die von Menschen mit Migrationshintergrund bewohnt werden, die Sympathien für rechtsradikale Parteien, wie die FPÖ mit ihrem Führer Herbert Kickl, zunehmen. Der Faschismus, ob von rechts oder links kommend, ersetzt Argumentation durch eine emotionale Aufrüstung und ein radikales Gemeinschaftsgefühl, das auf Ausgrenzung zielt. Sei es gegenüber anderen ethnischen Gruppen, oder in Fragen sexueller Orientierungen und geschlechterbestimmenden Definitionen. Queer, Schwule, Lesben, Bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche Menschen drohen Opfer einer faschistoiden Vernichtungskampagne zu werden. An die Stelle von Vielfalt tritt die Einfalt.
Am Heuplatz in Klagenfurt wurde kürzlich vor den City-Arcaden der Regenbogen-Fußgängerübergang mit den Kärntner Landesfarben übermalt. Fackeln wurden entzündet. Kärnten sei einmal anders gewesen…
Ein neuer Recht(s)staat könnte die Folge von derlei Auswüchsen werden, wird all dem Unfug nicht Einhalt geboten. Anfang der 30er Jahre hatten schon einmal Künstler und Intellektuelle (Thomas Mann mit inbegriffen) politische Entwicklungen bagatellisiert, um sie später in der südfranzösischen Emigration oder im sonnig-warmen Kalifornien-Exil zu bedauern. Am Anfang steht auch heute wieder die höhnische Umkehrung: Das Recht habe der Politik zu folgen und nicht die Politik dem Recht. Und der Hoffentlich-nicht-Volkskanzler wörtlich auf der FPÖ-Heimatherbstveranstaltung am 4. November 2023: „Bei einem freiheitlichen Volkskanzler gibt es keine Regenbogenfarben mehr auf einem Regierungsgebäude. Da häng ich ja vorher noch die Piratenfahne auf!“
Globalisierung, begünstigt durch ihr PR-Medium Internet, sorgt für rasche Verbreitung auch der infamsten Botschaften. Fake-News sind ein signifikantes Zeichen unserer Zeit. Nicht Wahrheit, sondern emotionale Betroffenheit steht im Mittelpunkt. Sie ist geeignet Wutkräfte zu mobilisieren, die potenzierende Durchschlagskräfte versprechen. Es genügen die Überschriften: Wir Österreicher – Wir Deutsche – Amerika den Amerikanern. Andere Inhalte sind nicht mehr erforderlich und von den Marschierenden auch nicht mehr erkennbar. Je einfacher die Botschaft, desto größer die Menge, die ihr folgen wird.
Radikalismus, Irrationalismus und Fanatismus gibt es seit es Menschen gibt, die sich zu ihrem Vorteil in Verbänden zusammenschließen, um sich das Leben auf Kosten anderer zu erleichtern. Noch nie jedoch war die Möglichkeit einer derart rasanten globalen Verbreitung gegeben. Unvorbereitet und schutzlos werden auch Menschen guten Willens getroffen, in vielen Fällen tödlich. Und sie wissen nicht, warum.
Ludwig van Beethoven schrieb eine Kantate auf den Tod Josefs II. In ihr finde ich diese Textstelle von Severin Anton Averdonk: „Ein Ungeheuer, sein Name Fanatismus, stieg aus den Tiefen der Hölle, dehnte sich zwischen Erd´ und Sonne und es ward Nacht.“ Wie harmlos klingen diese Zeilen aus dem achtzehnten Jahrhundert. Die möglichen Gefahren schienen auch lokal begrenzt. Fanatismus ist heute zu einer treibenden und weitreichenden gesellschaftszerstörenden Kraft geworden. Kontrolle scheint ausgeschlossen zu sein. Werte werden nicht mehr in Frage gestellt, verteidigt oder neu definiert. Sie werden ignoriert, und damit ist der Willkür antidemokratischer Kraftlackel Tür und Tor geöffnet. Es genügt: Wir Österreicher – Wir Deutsche – Wir hier herinnen gegen die da draußen.