„Lügenpresse“, gelegentlich auch „Systempresse“ oder „Systemmedien“, ist ein Kampfbegriff, der sich seit dem 19. Jahrhundert gegen unerwünschte Berichterstattungen richtet. Zur „Lügenpresse“ wurde die nicht mehr zensurierte liberale Presse in der Folge der bürgerlichen Revolutionen von 1848, als „Lügenpresse“ wurde die Feindpresse der Kriegsgegner Österreichs und Deutschlands im Ersten Weltkrieg bezeichnet und schließlich im Nationalsozialismus die gesamte andere Presse bis zu deren vollkommenen Gleichschaltung. Sporadisch wurde der Begriff „Lügenpresse“ auch im Widerstand gegen den Nationalsozialismus und im Kalten Krieg gegen westliche Medien eingesetzt.
Die durchgehende Wiederaufnahme des Begriffs erfolgte durch die 2013 gegründete rechtspopulistische bis rechtsextreme AfD (Alternative für Deutschland) und die 2014 entstandene deutsche rechtsextreme Pegida-Bewegung (Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes) sowie 2020 durch die Anti-Corona-Maßnahmendemonstrationen und die russlandfreundlichen Friedensdemonstrationen 2022 zum Krieg Russlands gegen die Ukraine. Der Begriff „Lügenpresse“ ist zu einem von einer zur nächsten Anti-Regierungsbewegung weitergereichten Wanderpokal und Fixbestandteil im Demolierungsvokabular rechtspopulistischer bis rechtsextremer Bewegungen, Parteien und Gruppierungen geworden.
Hinter der Protestfassade ihres Auftretens gegen die „Lügenpresse“ haben rechtspopulistische und rechtsextreme Parteien und Gruppierungen ihre eigenen Medienimperien aufgebaut. Treten sie in Regierungen ein oder übernehmen sie Regierungsgewalt, haben sie den doppelten Zugriff auf alle Medien, auf die eigenen sowieso und auf die anderen durch gesetzgeberische Maßnahmen. Sie kontrollieren damit den Medienmarkt der Parteimedien genauso wie den privatwirtschaftlichen Pressesektor und den öffentlich-rechtlichen Medienbereich.
Andererseits muss kein Wort wahr sein, von dem, was anti-islamische Rechtsextremisten, Vertreter von Heimatparteien und Anhänger und Anhängerinnen rechter und rechtsextremistischer Ideologien von sich geben, und schon gar nicht in Nachrichten, die aus Geheimdienstquellen stammen. Es genügt oft, dass sie diejenigen sind, die es aussprechen, dass die anderen lügen. Der Kampfbegriff „Lügenpresse“ erübrigt sich erst, wenn alle Medien, die etwas anderes als das Erwünschte sagen könnten, ausgeschaltet wurden oder gleichgeschaltet worden sind.
Es geht bei der Verwendung des Begriffs „Lügenpresse“ nicht um richtig oder falsch, wahr oder unwahr, falsch oder gefälscht, „Lügenpresse“ heißt, Medien tun genau das, was sie tun sollten, sie berichten frei und unabhängig, wenn ihnen etwas berichtenswert erscheint. „Lügenpresse“ heißt, sie ergreifen nicht Partei für die Anliegen, die man vertritt, sondern vertreten ihre eigenen Positionen und informieren, kommentieren, analysieren und zitieren, wie es ihrer Blattlinie oder ihrem öffentlich-rechtlichen Auftrag entspricht. „Lügenpresse“ heißt, darauf zu setzen, dass Medien nie vollkommen frei vom Verdacht sein können, unbeeinflusst zu handeln oder etwas zu verschweigen. „Lügenpresse“ heißt letztlich, ein Sittenbild der Verkommenheit zu zeichnen, um sich selbst als Rettung und Befreiung aus dieser Verkommenheit zu präsentieren.
Rechte und ultrarechte Parteien sind im Netz omnipräsent, sie verbreiten fast ungehemmt und weit über den Aktionsradius früherer Parteimedien hinaus vormals verfemte politische Standpunkte und Inhalte und bespielen mehr als alle anderen Parteien digitale Plattformen und Kanäle. Für Geheimdienste ist das Netz überhaupt ein Desinformationsparadies. Sowohl für Geheimdienstaktivitäten als auch für politische Parteien gilt, so wie für die Medien selbst, wenn es um Auftritte jenseits ihrer eigenen Infiltrationsmöglichkeiten und Kanäle geht, sind sie bei der Verbreitung ihrer Inhalte an medienrechtliche Bestimmungen und Qualitätskontrollen von Informationen gebunden.
In ihren eigenen Organen und auf ihren eigenen Verbreitungswegen unterliegen Rechte und ultrarechte Parteien keinen Kontrollen oder derartigen Beschränkungen. Es kann ihnen, wenn überhaupt, und meist viel zu spät, höchstens die Verbreitung gefälschter Nachrichten zur Last gelegt werden. In sozialen Netzwerken und auf Plattformen kann sie niemand hindern, ausschließlich und ungehindert ihren eigenen Interessen nachzugehen. Wollen sie sich ins Recht setzen, wollen sie Recht behalten, müssen sie die Nachrichten anderer zur Wahrheitsverdrehung oder Lüge erklären und die Botschaften, die sie haben und verbreiten wollen, zur unterdrückten Wahrheit machen, die nur bei ihnen in Erfahrung gebracht werden kann.
Das Netz und insbesondere die sozialen Netzwerke haben den von ihnen erhofften großen Meinungsdemokratisierungsprozess hinter sich gelassen und sind zu Marktplätzen und Propagandaspielwiesen verkommen. Die von Agenturen beratene Politik mit ihren Uniformierungen aller Äußerungen macht es rechten Parteien leicht, Phrasen mit Gegenphrasen zu quittieren, die sich als „Wahrheit“ präsentieren können. Alles andere hat keinen Wahrheitsgehalt, und ist ebenfalls ein Produkt der „Lügenpresse“