Wo Entgegenkommen, Erbarmen, Hilfsbereitschaft, Mitleid und Toleranz als sozialromantisch, naiv und versponnen gelten, verkommt die Welt zur Arena rücksichtslosen Eifers um Herrschaft und Ressourcen. Flüchtende allerorts, die sich kein anderes Asyl als ihren Touchscreen wissen, weil sie die Realität verängstigt, wütend macht oder zu Tode langweilt.
Die Burschenherrlichkeit führt zum Verschwinden der Mitte, auch in politischer Hinsicht. In den Polterkammern und Kellern des „Ewig-Männlichen“ handelt man Menschenrechte als Privilegien für eigene Clubmitglieder. Und um das zu legitimieren, hetzen die Hehler auch noch gegen die Betrogenen: Junge, die in Panik vor der kommenden Zeit, die allein ihre sein wird, zu drastischen Mitteln greifen, schimpfen sie „Terroristen“. Leute, die sich im Strudel der medial forcierten Bedrohungsszenarien auf Abwegen Auskunft suchen, weil sie nicht glauben können, was man ihnen vorsetzt, kanzeln sie ab als „Idioten“. Oder das Gelaber vom „Minderheitenterror“, wo jene um Würde ringen, die sie zu Minderen stempeln.
Wir wollen alle das Gleiche: ein halbwegs gesundes Leben in Frieden, Freiheit und Wohlstand. Nur bringt man es nicht weit auf dem Rücken anderer, schon gar nicht auf Kosten derer, die sowieso weniger haben oder weniger dürfen. Wer sie als Feindbilder zeichnet, häufig unter dem Vorwand, sie würden die Sittlichkeit oder Kinder gefährden, gibt sie zum Abschuss frei – im Wissen, dass vor Hass kein noch so solides Gesetz schützt.
Da planen drei junge Männer tatsächlich ein Massaker auf der Vienna Pride! Da schwenkt ein grauer Mob arg besorgter Bürger Schilder mit der Aufschrift „Villa Vida zusperren“, nur weil in dieser Villa, die ein queeres Café ist, ein Mann im Frauenkleid Kindern die Geschichte von einer Prinzessin vorliest, die einen Prinzen vor einem Drachen rettet.
Weit weniger harmlos ist das als Wahrheit verkaufte schmierige Schauermärchen von der „Frühsexualisierung“, das böse Ressentiment, das sich laut und schrill als Wachsamkeit verkleidet. Und wie schlafen die frömmelnden Vigilanten, die Kruzifixe schwingend vor Ambulatorien warten, um glücklos geschwängerte Frauen auf der Suche nach Hilfe des Mordes zu bezichtigen? Oder die selbsternannten „Retter der Familie“, die abseits der bunten Parade Grabesstimmung verbreiten mit kleinen Täfelchen, auf denen zu lesen steht, dass Kinder keinen Sex, aber Liebe brauchen. Als habe irgendwer irgendwas anderes behauptet.
Dass diese Sauertöpfe immer ans Eine denken, lässt nicht darauf schließen, dass ihr Familienmodell besondere Freuden bereithält. Und ihre „Nächstenliebe“ ist nicht annähernd christlich. Sie ist ein gehässiger Aufruf, es sich tunlichst heute im Gestern behaglich zu machen. Die Schreckensherrscher der Welt reiben sich schon die Hände. Schauen wir nicht bloß in die Herrenländer, in denen Frauen verfolgt und erniedrigt werden – ganz zu schweigen von Menschen, die weder als „richtige“ Männer noch als Frauen durchgehen. Es ist nicht lange her, dass unsere eigenen Leute gequält und ermordet wurden, nur weil sie anders liebten. Und wohin gehen wir wieder?
Der Raum für die Schutzbefohlenen darf nie wieder enger werden, keinen Millimeter, unter keinem Vorwand und keiner Sorge wegen!
(Auszüge aus: Anna Baar, „Vor dem Gesetz“, Festrede zur Eröffnung des Internationalen Brucknerfestes Linz 2023)